InfectControl 2020 – Neue Antiinfektionsstrategien

Der Problemraum

Mit der Entdeckung von Antibiotika und dem Beginn der Impfkampagne, die zur weltweiten Ausrottung der Pocken führen sollte, galten Infektionskrankheiten als beherrschbar. So gab 1967 William Stewart, der Surgeon General der USA zu Protokoll: “The time has come to close the book on infectious diseases. We have basically wiped out infection in the United States.” Knapp 50 Jahre später ist diese Überzeugung als dramatische Fehleinschätzung zu werten. Trotz des medizinischen Fortschritts sind Infektionskrankheiten die Ursache für bis zu einem Drittel aller vorzeitigen Todesfälle. In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche neue Infektionskrankheiten aufgetreten. Einige von ihnen haben regional beschränkte Ausbrüche, andere aber auch weltweite Pandemien ausgelöst. Selbst weitgehend auf Deutschland beschränkte Epidemien wie 2011 der Ausbruch von Lebensmittel-assoziierter Gastroenteritis verbunden mit dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) hatten erhebliche medizinische und ökonomische Auswirkungen.

Im Zeitalter der Globalisierung erfolgt die Ausbreitung neuer Infektionskrankheiten mit bisher unbekannter Geschwindigkeit. Jedoch stellen nicht nur neue Erreger eine Bedrohung dar. Allein in Europa versterben jährlich 25.000 Patienten an Infektionen mit bekannten Bakterien, die gegen verfügbare Antibiotika resistent geworden sind und gegen die es keine therapeutischen Möglichkeiten mehr gibt. Die besorgniserregende Zunahme des Auftretens und der Verbreitung solcher multiresistenter Krankheitserreger und die Zunahme schwerer lebensbedrohender Infektionen um jährlich ca. 7 bis 8 Prozent stellt eines der wichtigsten gesundheitspolitischen Probleme des 21. Jahrhunderts dar. Die WHO prognostiziert für die nächsten Jahre eine „Katastrophe“.

Auch die Veränderung der Patientenkollektive trägt zum Auftreten neuer Bedrohungen durch Infektionen bei. Die immunsuppressiven Maßnahmen bei Transplantationen von Organen und Knochenmark, aggressive Chemotherapien und umfassende operative Eingriffe bei immer älteren multi-morbiden Patienten, aber auch die HIV-Pandemie haben rund um den Globus zu einer stetig steigenden Zahl immungeschwächter Patienten geführt, die leichter an Infektionskrankheiten sterben. Durch die medizinische Entwicklung, den demographischen Wandel und das steigende Alter der Patienten wird dieser Prozess weiter verschärft. Opportunistische Erreger wie z. B. humanpathogene Pilze werden eine zunehmende klinische Bedeutung erlangen.

Den Bedrohungen durch Infektionskrankheiten steht ein dramatisch zunehmender Mangel an neuen Therapeutika gegenüber. Obwohl neue Technologien in der Infektionsforschung einen nie gekannten Wissenszuwachs ermöglichen, der sich weiter beschleunigen wird, ist die Zahl der neu entwickelten Antibiotika in den letzten 20 Jahren auf ein Rekordtief gefallen. Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist keine Umkehr dieses Trends zu erwarten. So ist auch die Zahl jener Firmen, die in der Lage sind, Antibiotika bis hin zur Anwendung am Patienten zu entwickeln (Dauer >10 Jahre, Gesamtkosten ca. 900 Mio. USD), von 18 im Jahre 1990 auf vier im Jahre 2011 zusammengeschrumpft.

Die Lösung der beschriebenen Probleme ist im 21. Jahrhundert nicht mehr einer isolierten Gruppe von Experten vorbehalten, sondern erfordert die Beteiligung aller mit der Problematik befassten Fachleute – von Grundlagenwissenschaftlern und Klinikern, über Verkehrsexperten, Gesundheitsökonomen bis hin zu Sozialwissenschaftlern und Klimaexperten. Auch Akteure wie Krankenkassen und Medien sowie Wirtschaftsunternehmen verschiedenster Richtungen, etwa Transportlogistiker, Implantat-Hersteller, Diagnostikaproduzenten und pharmazeutische Industrie müssen in die Problemlösung eingebunden werden, um möglichst umfassende Strategien erarbeiten zu können.

Die Ziele

InfectControl 2020 will einen transsektoralen Verbund entwickeln, der darauf abzielt,

  • signifikant zur Entwicklung neuer Antiinfektionsstrategien (Antibiotika, Impfstoffe, Zelltherapien, immunmodulatorische Therapien) beizutragen
  • die Entwicklung und Ausbreitung neuer und multiresistenter Keime aufgrund von unsachgemäßem Antibiotikaeinsatz, mangelnder Hygiene sowie globalen Menschen- und Güterströmen einzudämmen
  • Strategien zu implementieren, die zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit antimikrobiellen Substanzen führen.

Durch die enge Kooperation von Forschung und Wirtschaft sowie die Einbeziehung von Patientenvertretern und Öffentlichkeit soll sich InfectControl 2020 als Konsortium mit Modellcharakter profilieren, das zur Entwicklung von innovativen Antiinfektionsstrategien führt und damit signifikant dazu beiträgt, Lösungen im Kampf gegen Infektionskrankheiten zu finden. InfectControl 2020 soll gerade ostdeutschen Firmen die Möglichkeit bieten, sich zu global players zu entwickeln. Dabei werden Humanmedizin, Landwirtschaft, Veterinärmedizin, Mobilitäts- und Klimaforschung, Sozialwissenschaften und Öffentlichkeitsarbeit einbezogen und neue, effektive Strukturen für Innovationen geschaffen. Das Konsortium plant zudem, die Weiterentwicklung regulatorischer Rahmenbedingungen voranzubringen. Damit trägt InfectControl 2020 auch dazu bei, das gesellschaftliche Bewusstsein für die Problematik zu schärfen und ihre sozio-ökonomische Bedeutung darzustellen.

Die thematischen Schwerpunkte

Infektionskrankheiten sind ein weltweit alle Bereiche der Gesellschaft betreffendes Problem. Das Projektkonsortium InfectControl 2020 hat dabei die folgenden vier Schwerpunktbereiche identifiziert:

1. Landwirtschaft und Veterinärmedizin
Das Erscheinen neuer oder wiederauftretender Erreger spielt in der Landwirtschaft und Tiermedizin eine große Rolle. Zu den Beispielen gehören zoonotische Erreger wie die aviäre Influenza, die zwischen Tier und Mensch übertragen werden können. Nicht zielgerichteter Antibiotikaverbrauch in Veterinärmedizin und Landwirtschaft trägt zur Resistenzentwicklung bei. Die Verhinderung der Ausbreitung von Infektionen, die häufig eine große Zahl von Tieren betreffen, stellt eine besondere Herausforderung für die Prävention, Diagnostik und Bekämpfung dar.

2. Mobilität, Klima und Infrastruktur
Die weltweite Mobilität hat in den letzten Jahrzehnten rasant zugenommen. Ebenso kann die Ausbreitung von Infektionskrankheiten durch den Klimawandel begünstigt werden. Dies macht neue effektive Strategien zur Kontrolle und zum Umgang mit der Verbreitung von Infektionskrankheiten und Pandemien nötig. Dazu gehören zum einen Möglichkeiten zur schnellen Diagnostik der Erreger, zum anderen effiziente Maßnahmen zur Kommunikation und Krisenbewältigung. Auch infrastrukturelle Voraussetzungen sind für Präventionsmaßnahmen von großer Bedeutung, beispielsweise müssen Hygienekonzepte für den Krankenhausbau entwickelt werden.

3. Medizinische Forschung und Versorgung
Die Ausbreitung von Erregern, die gegen die heute verfügbaren Antibiotika resistent sind, wie beispielsweise Methicillin-resistente Staphylococcus aureus- oder Carbapenem-resistente Klebsiella pneumoniae-Stämme stellt die Medizin vor große Herausforderungen. Durch die Zunahme immungeschwächter Patienten steigt auch die Zahl an schwerbehandelbaren Pilzinfektionen. Um nicht in die „Prä-Antibiotika-Ära“ zurückzufallen werden dringend neue Antiinfektiva, innovative Immuntherapien, effiziente und spezifische Diagnostika und sowie umfassende Präventionsmechanismen benötigt.

4. Öffentlichkeit und Patienten
Das Informationsbedürfnis der Patienten muss bei der Entwicklung antiinfektiver (Kommunikations)-Strategien mit berücksichtigt werden. Für umfangreiche Prävention von Infektionserkrankungen, aber auch um einen bewussten Umgang mit Antibiotika zu befördern, sind Öffentlichkeitskampagnen und das Einbeziehen der Besorgnisse und Wünsche der Patienten und ihrer Angehörigen vonnöten.

InfectControl 2020 führt all diese Faktoren in einem holistischen Konzept zusammen, um grundlegend neue Strategien zur frühzeitigen Erkennung, Eindämmung und erfolgreichen Bekämpfung von Infektionskrankheiten sowohl zu entwickeln als auch kommerziell erfolgreich zu implementieren.

Die Partner

30 initiale Partner, davon 15 Unternehmen

Kontakt

Dr. Michael Ramm
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie
– Hans-Knöll-Institut –
Beutenbergstraße 11a
07745 Jena
Tel: 03641 5321011
E-Mail: michael.ramm[at]hki-jena.de
www.infectcontrol.de

Zum Beitrag "Neuer Tuberkulose-Wirkstoff ist mitteldeutsche Innovation des Jahres" aus der Rubrik "Im Blickpunkt"