Ein Lügendetektor für Nachrichten

„Diese Angaben konnten nicht überprüft werden“ – auffällig häufig sind Nachrichten seit Beginn des Ukraine-Krieges mit diesem Kommentar versehen. Künftig könnte der „news-polygraph“ den Redaktionen helfen, Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

Beispielbild für Vielzahl an Nachrichten
Mit news-polygraph sollen Fake-News schneller und einfacher identifiziert werden können © AdobeStock/metamorworks
Claudia Wolf
Claudia Wolf ist die Bündniskoordintorin für news-polygraph © Beate Wätzel

Nicht erst die aktuelle Kriegssituation in der Ukraine bringt uns Nachrichtenkonsumenten zu der Erkenntnis: Vor Fake News und gefälschten Medieninhalten sind auch seriöse Nachrichtendienste nicht sicher. Damit Redaktionen künftig schneller eingehende Nachrichten verifizieren, also deren Echtheit bescheinigen können, entwickelt der Forschungsverbund „news-polygraph“ aus der Region Berlin-Brandenburg einen digitalen Werkzeugkasten. Der Verbund wird im Rahmen des Programms „RUBIN – Regionale unternehmerische Bündnisse für Innovation“ des Bundesforschungsministerium gefördert. Momentan arbeiten die Akteure des Verbundes an der Erstellung des Konzepts für ihr Vorhaben. Im Interview erklärt die Projektkoordinatorin Claudia Wolf, wie news-polygraph den Verifizierungsprozess von Nachrichten vereinfachen will.

Spätestens seit der Corona-Pandemie und ganz aktuell jetzt im Ukraine-Krieg stellen wir fest, wie schnell sich Fake News und Desinformation verbreiten können. Was macht es so schwierig, das zu verhindern?

Claudia Wolf: Foto-, Video- und akustische Aufnahmen von Handys lassen sich kinderleicht bearbeiten. Die Zahl manipulierter Nachrichten nimmt dementsprechend zu. Zudem erzeugen Werkzeuge der Künstlichen Intelligenz qualitativ sehr hochwertige Fälschungen. Die werden von Medienanbietern auf Basis ihrer bisherigen Methoden des Faktenchecks nicht schnell genug erkannt. Das führt dazu, dass sich manipulierte Informationen ausbreiten, bevor sie als solche identifiziert sind.

Wie überprüfen die Medien bislang die Fakten?

Claudia Wolf: Sie müssen die Echtheit etwa von Ort, Tag, Person sehr aufwändig recherchieren. Da wird beispielsweise das Wetter auf einem Foto mit der tatsächlichen Wetterlage abgeglichen; oder es wird überprüft, ob die Hintergrundgeräusche in einem Video zu Ort und Geschehen passen. Dabei können die Redaktionen Spracherkennungs-, Bild- oder Textanalyse-Dienste einzelner Anbieter nutzen. Deren Qualität reicht aber oft nicht aus, um Journalisten verlässlich beim Erkennen von Manipulationen zu unterstützen. Wer wissen will, in welcher realen Gegend sich die auf dem Video gezeigte Militäroperation abspielt oder ob sich das zerstörte Hochhaus wirklich in Kiew befindet, muss sich auf ortskundige „menschliche Netzwerke“ stützen. Das können die Goethe-Institute in den Ländern sein, Journalisten-Kolleginnen und -kollegen vor Ort, Verwandte und Freunde. Da geht sehr viel Zeit verloren auf Kosten der schnellstmöglichen Berichterstattung. Darum sehen wir im Verlauf eines Tages oft immer wieder dieselben Bilder (in den Nachrichten?).

Welche technologische Lösung entwickeln Sie mit news-polygraph?

Claudia Wolf: Wir kombinieren neueste Technologien zu Audio-, Text- und Bildanalysen in einer Tool-Box. Den Werkzeugkasten nennen wir news-polygraph. Eine Übersetzung von polygraph ist Lügendetektor. Der benutzt in unserem Fall zur Erkennung von manipulierten Mediadaten Werkzeuge mit künstlicher Intelligenz, kombiniert mit Verfahren der Multimediaforensik. Diese relativ junge Wissenschaft beschäftigt sich mit Spuren der digitalen Bearbeitung. Zum Beispiel kann diese Forensik erkennen, ob es sich um eine menschliche oder synthetische Stimme handelt, ob es einen Wechsel der Aufnahmemikrophone gegeben hat, ob Geräusche wie Bombendetonationen synthetisch erzeugt wurden oder ob Menschen und Objekte in ein anderes Umfeld hinein montiert wurden.

Neben der Künstlichen Intelligenz wollen Sie ein Crowd-basiertes Werkzeug entwickeln. Wie funktioniert das?

Claudia Wolf: Wir nutzen die Crowd, also eine für news-polygraph arbeitende Menschenmenge mit diversen Expertisen, um auch Bewertungen durch menschliche Intelligenz sowie emotionale Bilder einzuholen, etwa Meinungen und Stimmungen in der Bevölkerung. Denn news-polygraph soll nicht nur die Geschwindigkeit des Faktenchecks erhöhen, sondern auch in die Detailtiefe gehen.

Auf welchen Kompetenzen baut Ihr Forschungsverbund auf?

Claudia Wolf: News-polygraph nutzt unter anderem die Erfahrungen und Ergebnisse von Projekten aus der Region wie den Wachstumskernen „dwerft“ und „QURATOR“, die vom Bundesforschungsministerium gefördert wurden und werden. Um einen bedarfsgerechten Werkzeugkasten zu entwickeln, sind wir u.a. mit der Deutschen Presseagentur, mit dem Westdeutschen Rundfunk und dem Bayerischen Rundfunk im Austausch. Zu unseren Bündnispartnern gehören der Rundfunk Berlin-Brandenburg und die Deutsche Welle. Diese Nachrichtensender nutzen und prüfen die für news-polygraph entwickelten Werkzeuge. Die Tools sollen sich auch einzeln gut in schon bestehende Verifikations-Systeme, die sich einige Medienanbieter selbst gebaut haben, integrieren lassen. Außerdem ist es wichtig, dass die news-polygraph-Werkzeuge ohne besondere Expertise zu bedienen sind.

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