Patienten-Wohnung kommt virtuell in die Reha-Klinik : Datum:

Schlaganfallpatienten leiden oft unter länger anhaltenden Bewegungseinschränkungen, die ihnen das selbständige Leben zu Hause erschweren. Mit Hilfe von Virtual Reality sollen Patientinnen und Patienten direkt in der Reha auf den späteren Alltag in den eigenen vier Wänden vorbereitet werden.

Ergotherapeutin Uta Kirchner-Heklau begutachtet mit einer Schlaganfall-Patientin deren Wohnräume, Softwareentwickler Marcel Deutschel misst sie aus. Aus den Gegebenheiten sollen therapeutische Übungen und räumliche Veränderungen abgeleitet werden.
Ergotherapeutin Uta Kirchner-Heklau begutachtet mit einer Schlaganfall-Patientin deren Wohnräume, Softwareentwickler Marcel Deutschel misst sie aus. Aus den Gegebenheiten sollen therapeutische Übungen und räumliche Veränderungen abgeleitet werden. © PRpetuum GmbH

„Diese Teppichkante wird für Sie zur Sturzquelle, und an der Tür steht ein Stuhl, der Ihnen hinderlich ist, wenn Sie mit dem Rollator im Wohnzimmer unterwegs sind“, Ergotherapeutin Uta Kirchner-Heklau schaut mit ihrer Patientin auf den Monitor. Zu sehen sind deren virtuelle Wohnräume: Küche, Bad, Schlafzimmer, Wohnzimmer. Bald wird sie dorthin zurückkehren. Noch befindet sie sich mit Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall in der Reha-Klinik. Hier wird sie auf ein möglichst selbstbestimmtes Weiterleben zu Hause vorbereitet. Dass die Frau zum Beispiel selbstständig in ihre Dusche steigen kann, ist eines der Therapieziele. „Miss doch mal, wie hoch der Einstieg ist“, wird Marcel Deutschel gebeten. Deutschel ist Software-Entwickler und hat eine VR-Brille aufgesetzt. Er steht neben den beiden Frauen, die den Wohnraum auf dem Monitor betrachten. Währenddessen fühlt es sich für ihn so an, als befände er sich direkt in der Wohnung der Patientin. Deutschel misst mit einem virtuellen Maßband den Duscheinstieg. In den Trainingseinheiten wir später auf dieser Höhe eine Schnur gespannt. Die Patientin muss dann üben, darüber zu steigen.

Virtuelle Wohnraum-Beurteilung

Uta Kirchner-Heklau, Ergotherapeutin und gleichsam Gesundheitswissenschaftlerin, arbeitet am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Marcel Deutschel führt sein eigenes Softwareentwicklungsunternehmen codemacher aus Halle (Saale). Beide gehören zum TDG-Bündnis – „Translationsregion digitalisierte Gesundheitsversorgung“. Das wird vom Bundesforschungsministerium im Rahmen des Programms „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ gefördert.

Rund zwei Jahre lang hat ein Team am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft gemeinsam mit codemacher den RehaTransHome-Demonstrator entwickelt und in der Reha-Klinik im sachsen-anhaltischen Bad Kösen getestet. Es handelt sich dabei um ein „smartes Wohnraumassessment“, eine Virtual Reality-Anwendung zur Wohnraum-Besichtigung und -Beurteilung. Zur Ausrüstung gehören ein Hardware-Set bestehend aus VR-Brille, einem Laptop, dem Präsentationsmonitor und die im Projekt entwickelte Software.

Jetzt hat der Prototyp seinen fünfmonatigen Probeeinsatz in der Reha-Klinik in Bad-Kösen bestanden. „Die Therapeuten würden die dauerhafte Einführung der RehaTransHome-Anwendung in ihren Arbeitsprozess sehr begrüßen, denn laut Gesetzgeber stehen ihnen nur 30 Minuten für einen Hausbesuch mit Wohnraumeinschätzung zur Verfügung. Wegen der langen Wege übers Land und des Fachkräftemangels beschränkt sich die Einschätzung der Wohnraumbedingungen oft nur auf die Beschreibungen der Patientinnen und Patienten“, weiß Uta Kirchner-Heklau. Das führe dazu, dass diese wenig anforderungsorientiert auf ihre Rückkehr nach Hause vorbereitet werden.

RehaTransHome Software verarbeitet 3D-Scans

Mit einer 3D-Scanner-App nimmt das Handy Bilder auf, die von der RehaTransHome-Software zu einem therapeutisch nutzbaren virtuellen Abbild des Wohnraums verarbeitet werden.
Mit einer 3D-Scanner-App nimmt das Handy Bilder auf, die von der RehaTransHome-Software zu einem therapeutisch nutzbaren virtuellen Abbild des Wohnraums verarbeitet werden. © PRpetuum GmbH

Um ein virtuelles Abbild der Patientenwohnung zu erstellen, werden von den Räumen zunächst 3D-Bilder aufgenommen. „Das geht mit einer der kostenlosen 3D-Scanner-Apps auf dem Smartphone ganz einfach“, sagt Marcel Deutschel. Diese Bilder können auch von den Angehörigen selbst erstellt werden können. Die Bilddateien werden dann von der im RehaTransHome-Projekt entwickelten Software für Ergo- und Physiotherapeuten nutzbar gemacht. In gemeinsamen Workshops hatten sie zuvor herausgearbeitet, was der Prototyp alles können muss. Er soll unter anderem helfen, Stolperfallen zu erkennen und die Wegstrecken messen, die die Patienten in ihrer Wohnung zurücklegen müssen. So könne schon in der Reha geklärt werden, ob Rollstuhl oder Rollator durch die Türrahmen passen, wie hoch die Türschwellen sind, die überwunden werden müssen oder wo geeignete Hilfsmittel wie Haltegriffe angebracht werden können. Fällt den Therapeuten auf, dass ein Tisch im Weg ist oder ein Sessel anders gestellt werden muss, können sie entsprechende Kommentare direkt am Objekt hinterlegen.

Digitale Hilfsmittelkonferenz

„Auch die Angehörigen können bei der Begehung des virtuellen Wohnraums sehr gut einbezogen werden, etwa wenn es um das Umräumen der Wohnungseinrichtung bis zu baulichen Veränderungen geht“, sagt Uta Kirchner-Heklau und ergänzt: „Wenn die Patientinnen und Patienten möchten, können auch sie sich die VR-Brille aufsetzen und den eigenen virtuellen Wohnraum betreten. So lässt sich ein realitätsnahes Gefühl dafür entwickeln, was umgestaltet werden müsste, um darin auch mit physischen Einschränkungen zurechtzukommen.“

Die Hauptzielgruppe der RehaTransHome-Anwendung sind die Reha-Kliniken und Therapeuten. Deren Aufgabe ist es, die Patientinnen und Patienten fit zu machen für die Rückkehr nach Hause. Und sie müssen die Hilfsmittel bestellen, die ein selbständiges Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen. „Nicht immer laufen die Vorbereitungen optimal“, weiß Uta Kirchner-Heklau. Darum haben die RehaTransHome-Akteure vor, eine digitale „Hilfsmittelkonferenz“ für Patienten und deren Angehörige, Pflegekräfte und Therapeuten sowie für die Sanitätshäuser ins Leben zu rufen. Sie wollen die Vorteile der virtuellen Wohnraumbegehung und -beurteilung kommunizieren und schnell bekannt machen.

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