Mit Biomechanik das Herz ergründen : Datum:

Zuerst waren es reine Blutzellen, die am ZIK „HIKE“ der Universität Greifswald auf ihre Festigkeit und Elastizität geprüft wurden. Nun sind es mehr und mehr Gewebezellen, die die Forschenden im Schnelldurchlauf charakterisieren können.

stark vergrößerte Ansicht einer gelben Zelle, umgeben von einem rosa Netz und blauen Punkten
Eine aus Stammzellen gewonnene Herzmuskelzelle: Einige wichtige Komponenten sind mit Farbstoffen markiert, darunter der Zellkern (blau), Muskelproteine, die an der Zellkontraktion beteiligt sind (Magenta), sowie die kleinsten funktionellen Einheiten des Herzmuskels, die Sarkomere (gelb). © Ricardo Pires/ZIK Hike

In den Laboren des Zentrums für Innovationskompetenz (ZIK) „HIKE“ fließen Zellen mit hoher Geschwindigkeit durch einen ultradünnen Kanal. In der Mitte strömen sie am schnellsten und am Rande deutlich verlangsamt. Dadurch müssen sich die Zellen verformen. Bis zu 1000 Zellen rasen pro Sekunde durch den Kanal. Eine Kamera hält die Bilder der Zellen fest und analysiert sie. Je nachdem, wie sie sich verformen, verrät das etwas über ihren Zelltyp. Die Entwicklung dieser sogenannten Echtzeit-Verformungszytometrie, kurz RT-DC, hat die Forschung in der Nachwuchsgruppe Biomechanik am ZIK HIKE deutlich vorangetrieben.

Gruppenleiter Oliver Otto und sein Team haben mit dieser Methode die mechanischen Eigenschaften einzelner Blutzellen untersucht und Unterschiede in der Festigkeit und Elastizität festgestellt. So ist es ihnen gelungen, die Verformbarkeit von Blutzellen mit bestimmten Krankheitsbildern in Zusammenhang zu bringen.

Herzmuskelzellen markierungsfrei bestimmen

 

„Mit unserer neueren Forschung weiten wir die Fähigkeiten von RT-DC auf Gewebemechanik aus, um ein Verständnis zwischen molekularen Phänomenen, physikalischen Eigenschaften und biologischer Funktion zu vermitteln“, erklärt Oliver Otto.

Das Ziel ist es vor allem, schon früher als bisher neue Informationen über Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Behandlung gewinnen zu können. Im Fokus der aktuellen Untersuchung stehen sogenannte iPS-Herzmuskelzellen, die es zu charakterisieren gilt. Es werden funktionelle menschliche Herzmuskelzellen aus Stammzellen gezüchtet, die möglicherweise krankes menschliches Gewebe ersetzen können. Der Physiker Otto geht der Frage nach, wie sich die Stammzelle auf dem Weg zur Herzmuskelzelle durch äußere mechanische Einflüsse entwickelt und welche Anteile der Zelle ihre Mechanik bestimmen. Zudem untersucht der Forscher die Funktionen der Zelle und deren Zustand.

Otto konnte verschiedene Reifegrade von Zellen feststellen. Er fand heraus, dass Stammzellen andere biophysikalische Eigenschaften haben als aus den Stammzellen entwickelte Herzmuskelzellen. Zudem stellte er fest, dass unreife und reife Herzmuskelzellen unterschiedliche Eigenschaften zeigen. Die Proteine, die für die Festigkeit der Zellen verantwortlich sind, ändern sich mit dem Reifegrad der Zelle. Dank dieser Ergebnisse könnte es möglich werden, diese Zellen vor der klinischen Anwendung zu untersuchen und zu bewerten,ohne die natürlichen Aktivitäten der Zelle zu stören.

 

ZIK HIKE mündet in Professur

Oliver Otto und seine biomechanische Forschung mit der RT-DC-Methode werden der Universität Greifswald auch nach der ZIK-Förderung des Bundesforschungsministeriums erhalten bleiben. Der Physiker wurde zum 1. September 2021 zum Professor für Zelluläre Biophysik ernannt und blickt auf die vergangenen erfolgreichen fünf Jahre zurück: „Die Möglichkeiten, die mir das ZIK HIKE gegeben hat, waren außerordentlich gut, sowohl von den Räumlichkeiten und Geräten als auch von den Mitarbeitern, die ich einstellen durfte.“

Vor fünf Jahren wurde die Forschungsarbeit der Biochemikerin Mihaela Delcea in der Arbeitsgruppe Nanostruktur des ZIK HIKE ebenfalls von der Universität Greifswald mit einer Professur für Biophysikalische Chemie für den Standort Greifswald gesichert. Delcea untersucht den Einfluss von Nanopartikeln auf das Immunsystem mit neuen Methoden der Biophysik. Die winzigen Nanopartikel befinden sich in der Luft, im Wasser, im Boden und in der Nahrung. Durch ihre geringe Größe können sie leicht in menschliche Zellen eindringen. Verbinden sie sich mit den Eiweißbestandteilen des Bluts, so verändert sich die Struktur der Proteine. Diese Veränderung ruft immunologische Reaktionen hervor und es kann zu Autoimmunprozessen kommen. Delceas Untersuchungen sind von außerordentlichem Interesse für die Medizin. Nanopartikel können unterschiedliche Immunreaktionen im Körper hervorrufen, die dann zu Störungen der Blutgerinnung und der Immunabwehr führen können.

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