Bauen? Aber natürlich!

Viele deutsche Großstädte leiden unter einem Mangel an bezahlbarer Wohnfläche. Doch Neubauten bzw. konventionelles Bauen sind mit einem hohen Rohstoffverbrauch und klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen verbunden. Ein Umdenken in der Branche ist gefragt. Nachhaltige Baustoffe, neue Technologien und mehr Recycling können helfen.

In einem Kubikmeter Holz ist eine Tonne Kohlenstoff gebunden, das entspricht knapp zwei Tonnen Kohlendioxid in der Luft.
In einem Kubikmeter Holz ist eine Tonne Kohlenstoff gebunden, das entspricht knapp zwei Tonnen Kohlendioxid in der Luft. © Adobe Stock / gabort

Die Bundesregierung will jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen in Deutschland bauen. Doch allein die Produktion herkömmlicher Baustoffe verursacht hierzulande ungefähr acht Prozent der jährlichen Kohlendioxid-Emissionen. Das entspricht dem CO2-Ausstoß, der durch sämtliche Flugreisen der Deutschen im Jahr entsteht. Zudem werden die für die Herstellung von Beton notwendigen Rohstoffe wie Sand und Kies knapp. Deswegen wird nach besseren Alternativen gesucht. Dabei könnten Baumaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Holz eine wichtige Rolle spielen.

Das sehen zumindest vier Innovationsbündnisse so, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert. Das „WIR!“-Bündnis „Holz-regio-21“ ist eines von ihnen. Die Bündnispartner wollen neue Ideen für einen Baustoff entwickeln, der äußerst klimafreundlich ist. Denn Holz hat die Eigenschaft, Kohlenstoff zu speichern. In einem Kubikmeter Holz ist eine Tonne Kohlenstoff gebunden – das entspricht fast zwei Tonnen CO2 in der Luft. Wenn Holz andere Baumaterialien ersetzt, die auf der Grundlage fossiler Rohstoffe mit hohem CO2-Ausstoß hergestellt werden, spart es zusätzlich Emissionen. Zudem hat Holz sehr gute bauphysikalische Eigenschaften. Unter anderem leitet es nur wenig Wärme, ist also ein guter Dämmstoff, und hat eine hohe Festigkeit. Deshalb kommt moderner Holzbau mit viel weniger Haustechnik und Dämm-Materialien aus, die manchmal sogar gesundheitsbelastend sein können.

Traditioneller Baustoff trifft moderne Technologien

Im Thüringer Wald wächst das nachhaltige Baumaterial in rauen Mengen. Doch bisher wird dieses nur in Form gesägter Bretter und Kanthölzer, mit geringem materiellem Wert, genutzt. Holz-21-regio will das ändern und mit regional ansässigen Betrieben moderne Produkte, vor allem für den Hausbau, entwickeln. Die Bündnispartner planen aus der Region zwischen Ilmenau, Schwarzatal und Rennsteig eine „Holz-Modellregion Thüringer Wald“ zu machen. Zum Team gehören Expertinnen und Experten aus der Forstwirtschaft und dem Maschinenbau, Informatikerinnen und Informatiker sowie Holz verarbeitende Unternehmen. Ihr Plan ist, die Ressource Holz wirtschaftlich besser zu nutzen und gleichzeitig die biologische Vielfalt des Waldes zu erhalten. Das unterstützt auch das Land Thüringen. „Der nachwachsende Baustoff Holz ist ein optimaler Ersatz für Zement und Stahl“, sagte die Thüringer Staatssekretärin für Infrastruktur Susanna Karawanskij bei der Auftaktveranstaltung von Holz-21-regio. „Die Förderung des Bauens mit Holz ist für die Landesregierung deshalb ein wichtiges politisches Ziel.“

Mit dem nachwachsenden Rohstoff wird Bauen effizienter. Wände und Decken lassen sich millimetergenau vorproduzieren und müssen auf der Baustelle nur noch montiert werden. Dem Team von Holz-21-regio geht es um die gesamte Wertschöpfungskette des Holzes – von der Ernte bis zur Verarbeitung. Außerdem hat das WIR!-Bündnis den klimaresilienten Waldumbau auf der Agenda. Das bedeutet, Baumarten zu finden und zu pflanzen, denen der Klimawandel weniger ausmacht. Langfristig sollen sich in der strukturschwachen ländlichen Region neue Unternehmen der Holzbranche ansiedeln und einen umweltfreundlichen regionalen Wirtschaftsbereich entwickeln. „Wir wollen in Thüringen Holz in größerem Maße bei Bauten des Landes einsetzen und bei weiteren Verarbeitungsstufen von Holz zum Vorreiter werden“, sagt Susanna Karawanskij.

Wiederverwenden statt wegwerfen

25 Millionen Tonnen Bauschutt landen jedes Jahr auf deutschen Deponien. Doch mit neuen Strategien und Techniken lässt sich vieles davon als Baumaterial wiederverwenden.
25 Millionen Tonnen Bauschutt landen jedes Jahr auf deutschen Deponien. Doch mit neuen Strategien und Techniken lässt sich vieles davon als Baumaterial wiederverwenden. © Adobe Stock / gabort

Bevor neue Häuser entstehen, werden oftmals alte abgerissen. Die Bauwirtschaft ist für 55 Prozent aller Abfälle in Deutschland verantwortlich. Jedes Jahr fallen hierzulande durch Abriss 215 Millionen Tonnen Bauschutt an. Mehr als die Hälfte davon kommt als Füllmaterial in Baugruben. 25 Millionen Tonnen Bauschutt landen jährlich auf Deponien. Das geht auch anders, findet das Thüringer Bündnis „renatBAU – Ressourcenmanagement für nachhaltiges Bauen“, das ebenfalls im Rahmen des Programms „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ gefördert wird. Das Team besteht aus 68 Partnern, zu denen Baustoffhersteller und -verbände, Bau- und Recyclingunternehmen sowie Weiterbildungs- und Forschungseinrichtungen gehören. Ihr gemeinsames Ziel ist es, Stoffkreisläufe beim Bauen zu schließen, also nichts zu verschwenden und nichts einfach wegzuwerfen. In den Blick nehmen sie dabei den gesamten Lebenszyklus von Baumaterialien: vom Rohstoff zum Baustoff, weiter zum Bauteil und Bauwerk, bis hin zum Abbruch und zur Verwertung.

Das Bündnis hat sich nicht durch Zufall in Thüringen gefunden. Hier schlummern viele mineralische Rohstoffe in den Böden, die für die Herstellung von Baumaterialien relevant sind. Dazu gehören unter anderem Sand, Kalkstein, Tonschiefer und Gips. Durch zunehmende Bauaktivitäten in Deutschland steigt auch der Bedarf an solchen Rohstoffen. Um die Landschaft und die Natur zu erhalten, ist es wichtig, die Mengen der geförderten Rohstoffe zu begrenzen. Das will renatBAU unter anderem durch echtes Recycling erreichen. Denn momentan werden Baumaterialien nur zum Teil recycelt und wiederverwendet – Ziegel zum Beispiel oder auch Gipsplatten. Zudem werden Gipsabfälle meist über große Strecken transportiert, um sie zentral zu verarbeiten, statt sie regional zu recyceln. Der hohe Energieaufwand steht dabei der Nachhaltigkeit im Weg. Recyclingprozesse müssen wirtschaftlicher werden, um die derzeit hohen Preise für wiederverwendete Baumaterialien zu senken. Kurze Transportwege und eine Automatisierung der Schutt-Sortierung wären Voraussetzungen dafür. Auch die Qualität der recycelten Materialien sollte der von neuen Baustoffen in nichts nachstehen, um bei potenziellen Nutzerinnen und Nutzern Akzeptanz zu finden. Da ein großer Teil des anfallenden Bauschutts schwer zu trennende Verbundmaterialien sind, ist das schwierig. Deshalb denkt renatBAU auch über alternative Fügetechniken im Bau nach – zum Beispiel durch den Einsatz von Steckverbindungen statt Kleber oder Mörtel.

Bauen mit Lehm

Der erste neue Massivlehmbau seit über 70 Jahren wird bei Schönebeck-Salzelmen in Sachsen-Anhalt von öffentlicher Hand errichtet.
Der erste neue Massivlehmbau seit über 70 Jahren wird bei Schönebeck-Salzelmen in Sachsen-Anhalt von öffentlicher Hand errichtet. © GOLEHM, LDA Sachsen-Anhalt

Das Thema Recycling spielt auch beim „WIR!“-Bündnis „GOLEHM“ eine wichtige Rolle. „Der Name steht für „Ganzheitlichen Oekologischen Lehmbau“. In der Region nördlich, östlich und südlich des Harzes sind die Böden sehr lehmhaltig. Die Mischung aus Ton und Sand wurde hier bis in die 1950er-Jahre als Baumaterial verwendet. „Wegen der Regenarmut sind sogar Lehmhäuser aus dem 15. Jahrhundert erhalten geblieben“, begeistert sich Franziska Knoll vom sachsen-anhaltischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. „Lehm als Baumaterial hat so viele positive Eigenschaften. Er ist brandresistent, lässt sich gut formen, dämmt den Schall, reguliert Feuchte, Wärme und Kälte – und kann immer wieder verwendet werden.“ Die promovierte Archäologin bedauert allerdings, dass Lehmbautechniken „vergessen“ worden seien. Seit über 70 Jahren baue niemand mehr mit diesem natürlichen Material. „Mit der Entwicklung moderner Baustoffe in der westlichen Welt bekam der Lehm ein Negativ-Image als Baumaterial armer Leute“, sagt Franziska Knoll.

Die GOLEHM-Akteure wollen dieses Image aufpolieren. Franziska Knoll koordiniert das Bündnis. Unternehmen, Baugewerke, Kommunen, Forschungseinrichtungen sowie Bürgerinnen und Bürger wollen erreichen, dass sich der Lehmbau wieder in der regionalen Bauwirtschaft etabliert und damit einen Beitrag zum ressourcenschonenden, klimaneutralen Bauen leistet. Dazu trägt auch die digitale Lehm-Pinn-Wand bei, eine Art Tauschbörse auf der Internetseite der GOLEHM-Initiative. Hier finden sich Anzeigen wie diese: „Wir haben eine mindestens 100 Jahre alte Lehmscheune. Die wollen wir abreißen und die Lehmsteine zur Verfügung stellen.“ Die Vorteile der Nutzung von Lehm liegen für Franziska Knoll auf der Hand: „Das Material muss keine weiten Transportwege zurücklegen. Der Lehm aus der Baugrube kann direkt für den Neubau verwendet werden. Und für die Angebote an unserer Lehm-Pinn-Wand finden sich immer Abnehmer aus der näheren Umgebung.“

Einzelne GOLEHM-Vorhaben sanieren historischen Baubestand und bauen auch neue Häuser aus Lehm. „Die Modellprojekte sollen sichern, dass der Lehmbau auch nach den heute bestehenden Richtlinien und Normen genehmigungsfähig ist“, erklärt Franziska Knoll. „Heutzutage werden andere Anforderungen an das Baumaterial gestellt als noch vor 70 Jahren. Wir untersuchen beispielsweise, inwieweit der Lehm radioaktiven Gehalt aus dem Boden und Schadstoffe aus der Luft aufgenommen hat. Zudem haben Verkleidungen aus Zement, Gipskarton oder noch moderneren Baustoffen die Lehmwände in den Schwitzkasten genommen und für Schimmel oder Fäulnis gesorgt“, sagt die Archäologin. Das GOLEHM-Bündnis entwickelt Testverfahren und Technologien, mit denen solche Lehm-Verunreinigungen ermittelt und beseitigt werden. Außerdem erforschen die Akteure alte Rezepturen und entwickeln sie weiter zu neuen innovativen Lehmbaustoffen. Damit das Bauhandwerk diese Stoffe und Techniken anwenden kann, werden Weiterbildungsangebote erarbeitet.

Alternativen nutzen

Der CUBE in der Dresdner Innenstadt ist das weltweit erste Carbonbetonhaus.
Der CUBE in der Dresdner Innenstadt ist das weltweit erste Carbonbetonhaus. © Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden

Neue Materialien und geringere Baustoff-Mengen sorgen ebenfalls für mehr Nachhaltigkeit – insbesondere beim Bauen mit Beton. Weltweit werden jedes Jahr acht Milliarden Kubikmeter Beton verbaut. Die Herstellung des dafür nötigen Zements verursacht bei seiner Herstellung fast sechseinhalb Prozent des CO2-Ausstoßes der Welt. Das ist ungefähr das Dreifache der gesamten Luftfahrtindustrie. Eine Alternative erforscht deshalb das Konsortium „C³ - Carbon Concrete Composite“, das im Rahmen des Programms „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“ gefördert wird. Statt des herkömmlichen Stahlbetons will das Konsortium Carbonbeton als Baustoff etablieren. Bis zu 80 Prozent Material können damit gespart werden. Gitter oder Stäbe aus Carbonfasern verstärken den Beton und ersetzen herkömmlichen Stahl. Carbon rostet nicht und ist sechsmal fester als Stahl. Deshalb kann die Betonschicht zur Ummantelung viel dünner sein. Weniger Material bedeutet zugleich weniger CO2-Ausstoß. Außerdem ist Carbonbeton langlebiger als Stahlbeton und besser recycelbar. Zudem ermöglicht das neue Material, alte Bauwerke zu erhalten. Einige marode Brücken in Deutschland sind damit bereits saniert worden.

Mitten in Dresden entsteht derzeit das weltweit erste Haus aus Carbonbeton, der CUBE. Damit zeigt der C3 e.V., dass Carbonbeton nicht nur nachhaltig, sondern auch schön und funktional ist. Filigrane Formen sind damit genauso möglich wie effizient produzierte Fertigteilwände. Da Carbonfasern Strom besonders gut leiten, können Heizungen, Speicher oder Raumluftsensoren direkt in die Wände eingebaut werden. Das geschieht schon bei der Herstellung der Betonbauteile und spart damit Kosten und Zeit.

Der erste Schritt ist getan

Carbonbeton ermöglicht ungewöhnliche, filigrane Formen.
Carbonbeton ermöglicht ungewöhnliche, filigrane Formen. © Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden

Noch ist der CUBE nur ein Versuchshaus, doch es zeigt, was mit Carbonbeton alles möglich ist. In Zukunft könnte das innovative Material vor allem dort zum Einsatz kommen, wo Flächen knapp sind und platzsparend gebaut werden muss. Dafür braucht der neue Baustoff jedoch eine allgemeine Zulassung. Momentan müssen Bauherren bei jedem Vorhaben Einzelgenehmigungen beantragen. Die C³-Partner arbeiten daran, dass das anders wird, denn sie sind überzeugt davon, dass Carbonbeton eine große Zukunft bevorsteht. „Carbonbeton ist der ‚Quantencomputer’ des Bauwesens“, sagt Professor Manfred Curbach, Direktor des Instituts für Massivbau an der Technischen Universität Dresden und Vorstandsvorsitzender von C³ e.V. „Mit ihm sind Dinge möglich, die sich derzeit nur schwer vorstellen lassen und die die Bauwelt grundlegend verändern werden.“ Das weltweit erste Carbonbetonhaus in Dresden ist ein erster Schritt dorthin – und ein weithin sichtbares Zeichen für das aktuelle Umdenken in der Baubranche.