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570.000 Tonnen Altreifen fallen jedes Jahr in Deutschland an. Eine gewaltige Menge, vollgepackt mit Rohstoffen wie Gummi, Stahl und Textilfasern – und viel zu wertvoll, um auf Deponien oder im Brennofen zu landen. Die „Allianz Zukunft Reifen“ (AZuR) will das ändern.

Eine alte Karkasse erhält einen neuen, profilreichen Laufstreifen.
Beim Kalterneuerungsverfahren erhält die alte Karkasse einen neuen, profilreichen Laufstreifen. © RuLa-BRW GmbH

Not machte erfinderisch – in der ehemaligen DDR waren runderneuerte Reifen auf PKW und Lastkraftwagen ein Normalzustand. Unbezahlbar wären die Rohstoffe gewesen, um alle Fahrzeuge mit nigelnagelneuen Pneus auszustatten. Runderneuerte Reifen sind neuwertige Pneus, die aus gebrauchten Reifen hergestellt werden. Heute leisten wir uns den Luxus, fast alle Fahrzeuge bei Auslieferung oder Reifenwechsel mit neuen Reifen auszurüsten. Nach etwa 40.000 gefahrenen Kilometern beim PKW und ca. 150.000 Kilometern beim LKW landen die Pneus auf dem Müll. Rund 50 Millionen Reifen in jedem Jahr. Im Grunde ein Wahnsinn, der mit kluger und nachhaltiger Kreislaufwirtschaft nichts zu tun hat. Auch wenn es bei der LKW-Flotte etwas besser aussieht – rund ein Drittel der in Deutschland zugelassenen 3,4 Millionen Trucks sind mit runderneuerten Reifen bestückt –, muss diese Quote unbedingt erhöht werden. Wenn zum Beispiel die Hälfte der LKWs in Deutschland mit runderneuerten Reifen fahren würde, könnte man ca. eine Million Tonnen CO2 pro Jahr und etliche Tonnen Rohstoffe einsparen, die sonst bei der Neuproduktion anfallen würden, berechneten Fachleute des Netzwerkes „Allianz Zukunft Reifen“ (AZuR).

Mehr als ein Leben

Christina Guth, AZuR-Netzwerkkoordinatorin, kennt die heutige Situation: „Runderneuerte Reifen haben keinen guten Ruf. Regelmäßig kursieren Berichte über angeblich mangelnde Nutzungsdauer und eingeschränkte Verkehrssicherheit, die schon viele Jahre alt sind und mit den aktuellen technischen Möglichkeiten nichts mehr zu tun haben.“ Dabei könne man schon jetzt bis zu 70 Prozent der Energie bei der Herstellung runderneuerter Reifen im Vergleich zur Neuproduktion einsparen – ein schlagendes Argument, das auch Eingang fand in die Diskussionen und Gespräche des Innovationsforums Mittelstand „Altreifen-Recycling“, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wurde.

Über 40 Unternehmen, Verbände und Hochschulen haben sich ein Ziel gesetzt: Alle Wertstoffe, die in jedem Reifen stecken, zu 100 Prozent wiederverwenden! Anish Taneja, Präsident des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie e. V. (wdk), betonte die damit verbundenen Herausforderungen: „Alle Marktbeteiligten müssen umdenken und zusammen neue Wege finden, die individuelle Mobilität auch unter den steigenden Anforderungen der Kreislaufwirtschaft sicherzustellen. Das kann nur gelingen, wenn wir Technologien und Systeme entwickeln, die den Wertstoff, der in den Reifen steckt, zu 100 Prozent wiederverwerten. Der Reifen kann mehr als ein Leben haben.“

Dass diese Aufgabe in der Reifenbranche ein Thema ist, beweist die Stabilität des AZuR-Netzwerkes nach dem Ende der BMBF-Förderung: Die Schirmherrschaft über die AZuR-Projektvorhaben übernahm inzwischen der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (wdk). Geschäftsführer Stefan Rau: „Das branchenübergreifende Netzwerk aus verschiedenen Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft in der ‚Altreifen-Branche‘ soll die Voraussetzungen gerade für kleine und mittlere Unternehmen, zum Beispiel für neue Produkte, Absatzmärkte und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, verbessern.“

EU erhöht Recycling-Druck

Ein Berg an Altreifen
Bis zu 50 Millionen Reifen landen jährlich in Deutschland auf dem Müll. © KURZ Karkassenhandel GMbH

Dass seine Branche dabei unter dem Druck der Gesetzgeber von EU und dem Bund steht, daraus macht Stefan Rau kein Geheimnis: „Das Entsorgen von Altreifen auf Deponien ist heute kein Thema mehr, ebenso sinkt die Nachfrage der Zementwerke nach Reifen für die thermische Verwertung rapide, da man inzwischen auf Alternativen, wie z. B. Gas, umstellt.“ Die Rohstoffpreise zögen weltweit an und die neue CO2-Bilanzierung werde ihre Wirkung zeigen.

In diesem Umfeld scheint es nur logisch, dass AZuR gerade jetzt durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit einem wegweisenden Förderprojekt bis 2023 signifikant unterstützt wird. Dieses umfasst ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das das Image von runderneuerten Reifen nachhaltig stärken soll: Geplant ist eine Studie zur Ökobilanz für zwei Nutzfahrzeug- und zwei Pkw-Reifengrößen. Die Studie wird neue Fakten zum Ökopotenzial und zur Qualität von runderneuerten Reifen liefern, Rollwiderstandsmessungen für PKW und LKW sollen Reifennutzerinnen und -nutzern mehr Klarheit bringen. Die Website soll außerdem einen Öko-Bilanz-Rechner und Links zu Anbietern runderneuerter Reifen anbieten. Für das Projekt wird ein Qualitätslabel entwickelt.

Aber auch andere Möglichkeiten der stofflichen Verwertung von Altreifen stehen auf dem Programm der Reifen-Allianz. So erweist sich beispielsweise Altreifen-Granulat als ein vielseitiger Sekundär-Werkstoff. Das Verfahren der stofflichen Altreifenverwertung separiert Metall, Textilien und Gummi. AZuR plant außerdem eine Projektgruppe zum Thema gummimodifizierter Asphalt. Gummigranulat oder Gummimehl können zu einer verbesserten Haltbarkeit des Asphalts beitragen. Viele Länder setzen diese Stoffe schon seit Jahrzehnten erfolgreich ein.

Ein weiter Weg

Ein Vorreiter in Sachen Altreifenverwertung ist das Unternehmen Pyrum Innovations AG im saarländischen Dillingen. Aktuell werden dort pro Jahr etwa 7.000 Tonnen Altreifen verarbeitet. Zuerst werden die Reifen geschreddert und der so wiedergewonnene Stahldraht an die Stahlindustrie geliefert. Mit einem Thermolyse-Verfahren wird dann das fein gemahlene Gummigranulat zu Ruß sowie zu Ölen und Gasen verarbeitet, die wiederum in einem Chemiewerk als Rohstoff eingesetzt werden. „Der Weg dorthin war weit“, verrät Geschäftsführer Pascal Klein, „aber er hat sich gelohnt. Wir werden in den kommenden Jahren die verarbeitete Tonnage an Altreifen weiter erhöhen und so unseren Teil zum Altreifen-Recycling beitragen.“

Trotz dieses positiven Beispiels steckt die Wiederverwendung von Altreifenmehlen für andere Nutzungen noch in der Laborphase. Mut machend berichtete Professor Ulrich Giese vom Deutschen Institut für Kautschuktechnologie e. V. beim Innovationsforum über erfolgreiche Versuchsreihen der am Bündnis beteiligten Forschungsinstitute. Ziel dieser Aktivitäten sei ein hochwertiges Recyclingmaterial, mit dem dann wieder erstklassige runderneuerte Reifen für LKW und PKW auf die Straße kommen werden.