Hightech aus der Natur

Selbst innovative Ingenieurskunst vermag es bisher nicht, komplexe Materialien aus der Natur nachzubilden. Wissenschaftler am Zentrum für Innovationskompetenz „B CUBE“ lüften biologische Geheimnisse, um diese Stoffe für den Menschen nutzen zu können.

Nachwuchsgruppenleiter Igor Zlotnikov ist fasziniert von Muscheln und Schwämmen. Die Strukturen von Muschelgehäusen sind derart symmetrisch, dass sie sogar mathematisch beschrieben werden können. Aber wie schaffen es die marinen Lebewesen, solche Materialien zu produzieren? Die Antwort auf diese Frage könnte die menschliche Ingenieurskunst einen großen Schritt voranbringen. Schließlich bieten die mineralischen Strukturen eine Menge mechanischer, optischer und magnetischer, ja sogar elektrischer Anwendungsmöglichkeiten. Deshalb ist Zlotnikov, ein studierter Materialwissenschaftler mit physikalischem Hintergrund, hoch motiviert. Er will die physikalischen Mechanismen erkennen, die dahinter stecken und hat dafür neue experimentelle Methoden entwickelt. Zu den Modellsystemen, die er untersucht, gehören marine Schwämme, einer der ältesten mehrzelligen Organismen auf dem Planeten. Die Schwämme bestehen aus verschieden angeordneten Spießchen. Zlotnikov und sein Team haben herausgefunden, dass die organischen Filamente, aus denen die Spießchen aufgebaut sind, durch Proteinkristalle gebildet werden. Nun analysieren sie diese, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen.

Membran als Schlüssel

Ansicht einer synthetischen Membran
Künstliche Membran: Mit dieser winzigen synthetischen Membran simulieren die Dresdner Forscher fundamentale Mechanismen von Zellmembranen. © James P. Sàenz, B CUBE Dresden

Der Amerikaner James Peter Sáenz, der am ZIK B CUBE ebenfalls eine Nachwuchsgruppe leitet, geht sogar noch weiter. Er will wissen, wie Leben entstanden ist und wie die Zellen in mehrzelligen Lebewesen ihre Funktionen abstimmen. Der Schlüssel zu neuen Erkenntnissen sind für Sáenz die Zellmembranen als Schnittstellen zwischen Leben und Nicht-Leben. Zellmembranen sind aus sehr robustem und gleichzeitig flexiblem Material. Sie adaptieren sich an ihre Umwelt und regulieren die physikalischen Eigenschaften wie Fließfähigkeit und Durchlässigkeit. Sáenz interessiert, wie die Membranen Veränderungen in ihrer Umgebung erspüren und wie derartige Sensoren im Labor nachgebildet werden könnten. Um die Eigenschaften und Design-Prinzipien lebender Membranen zu untersuchen, nutzt er Bakterien als einzellige Modellorganismen.

Das Sáenz-Team geht außerdem der Frage nach, wie sich Moleküle zu lebenden Organismen organisieren können. Lipide, die die Organisation der Ribonukleinsäure (RNS) beeinflussen, spielen dabei eine wichtige Rolle. RNS setzt genetische Information in Proteine um. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen, wie die Lipide mit der RNS interagieren und sie beeinflussen. Finden sie das heraus, könnten sie künstliche biologische Systeme und letztlich sogar Leben produzieren.

Teil des großen Ganzen

Es sind spannende Fragen, denen die B CUBE-Forscher in Dresden seit mittlerweile elf Jahren nachgehen. In dieser Zeit ist B CUBE stark gewachsen: 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind heute dort beschäftigt. Was mit einer kleinen Nachwuchsforschungsgruppe begonnen hat, ist inzwischen zu einem großen Zentrum mit fünf Professuren samt Mitarbeitern und zwei zusätzlichen Forschungsteams gewachsen. Seit Oktober 2018 haben die Forscherinnen und Forscher in einem Neubau auf dem Lebenswissenschaften-Campus in Dresden eine perfekte Infrastruktur. Yael Politi ist erst vor kurzem mit ihrem Team dort eingezogen. Die Professorin aus Israel beschäftigt sich mit biologischen, Chitin-basierten Materialien. Ihre Erkenntnisse will sie für das Design neuer, anpassungsfähiger Materialien nutzen, die auf mechanische Reize reagieren. Mit derart wegweisenden Ideen hat B CUBE längst internationale Strahlkraft erlangt und trägt gleichzeitig zur regionalen Entwicklung bei. Denn die Vereinigung von B CUBE mit dem Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) und dem Biotechnologischen Zentrum der TU Dresden (BIOTEC) zum Zentrum für Molekulares und Zelluläres Bioengineering (CMCB) zeigt, wie stark der Biotechnologie-Standort Dresden inzwischen geworden ist.