Die intelligente Tablettenbox

Die meisten Menschen wollen bis ins hohe Alter selbstständig in ihrer häuslichen Umgebung bleiben. Zunehmend werden sie dabei von digitalen Hilfsmitteln unterstützt. Ein Start-up aus Halle entwickelt nun den smarten Medikamentenspender.

Chris Walter kommt ortsfremden Besuchern auf der Treppe entgegen, denn sehr verwinkelt befinden sich die Räume in der alten Villa, in der das Existenzgründerzentrum der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle sein Domizil hat. Das „Designhaus“ bietet Spin-offs aus der Hochschule und Start-ups aus der Kreativwirtschaft Büros zu günstigen Mieten. Auch Chris Walter (29) ist hier eingezogen. Der gebürtige Trierer hatte an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Maschinenbau studiert und beendet in diesem Jahr sein Industriedesign-Studium an der legendären „Burg“ in Halle an der Saale. Hier lernte er den gleichaltrigen Robert Gühne kennen. Gühne kam aus Radebeul an die Burg, um Multimediadesign zu studieren. Den Fokus auf innovative Web-Technologien gerichtet, gehörte er schon vor Jahren zum Gründerteam der Polyxo Studios. Er entwickelt unter anderem Softwarekonzepte für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.

Chris Walter und Robert Gühne vor einem Bildschirm
Gründungsidee von Robert Gühne und Chris Walter (v.l.) ist die smarte Tablettenbox.  © PRpetuum GmbH

Bevor Robert Gühne wieder einmal um den Erdball reiste, gründeten er, Chris Walter und der Hardwareentwickler Daniel Böber (29) noch ihre eigene Firma „wirewire“. Mit dem Namen hätten sie bewusst das Gegenwort zu ihren Produkten gewählt, die ohne Kabel funktionieren, meinen die Firmengründer. Zunächst wollen sie einen smarten Medikamentenspender entwickeln und herstellen. Ein solcher Spender war vor Jahren eine studentische Projektarbeit von Robert Gühne. Jetzt, da die technologischen Voraussetzungen durch Künstliche Intelligenz gegeben sind, sehen die beiden Männer große Marktchancen für die intelligente Tablettenbox.

Ohne Kabel

„Der eingebaute Sensor erinnert die Patienten über optische und akustische Signale an die Entnahme der Medizin und ist zudem mit den mobilen Endgeräten von Pflegediensten oder Angehörigen verbunden“, erklärt Robert Gühne. Der Bedarf für eine solche Box war ihm im häuslichen Alltag der eigenen Großmutter aufgefallen. Chris Walter hat sogar eine über 90-jährige Handy-affine Oma, deren eigenständiges Leben mit dem smarten Medikamentenspender enorm erleichtert werden würde.

Ansicht der Oberfläche der App zum Medikamentenspender
Die App des smarten Medikamentenspenders informiert unter anderem über die zurückliegenden Entnahmezeiten. © wirewire GmbH

Da das „Designhaus“ in Halle ein Kommunikationsforum ist, das die Öffentlichkeit auch stets zu Veranstaltungen einlädt und auf designrelevante Themen aufmerksam macht, war es nur eine Frage der Zeit, bis Karsten Schwarz den beiden jungen Männern begegnete. Schwarz ist stets auf der Suche nach Partnern für die „Translationsregion digitalisierte Gesundheitsversorgung“, kurz TDG. Die Initiative wird vom Bundesforschungsministerium im Rahmen des Programms „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ gefördert. „Die digitalen Technologien eröffnen auch dem autonomen Leben bis ins hohe Alter ganz neue Möglichkeiten“, sagt Karsten Schwarz. Der promovierte Wirtschaftsinformatiker an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg koordiniert das TDG-Bündnis. Die Partner aus dem südlichen Sachsen-Anhalt entwickeln digitale Service-Angebote und -Produkte für den vor allem häuslichen Alltag von Pflegebedürftigen und bereiten die potenziellen Anwender auf den Umgang mit den digitalen Hilfsmitteln vor.

Ohne Internet

TDG will vor allem dazu beitragen, die Versorgungsprobleme in den ländlichen Regionen zu lösen. Insbesondere vor diesem Hintergrund ist der smarte Tablettenspender interessant. Der Sender brauche kein WLAN und verschicke sein niedriges Datenvolumen über die langwelligen Frequenzen mit guten Ausbreitungseigenschaften, erklären die Firmengründer. Deren Ziel ist es zudem, ein kostengünstiges Produkt herzustellen. Im sächsischen Crottendorf haben sie einen technologieinteressierten Partner gefunden, der weltweite Erfahrung mitbringt im Vertrieb von Medikamentendosierern. Die anmed GmbH kenne sich gut mit den Anforderungen und Regularien sowohl in der häuslichen als auch in der stationären Pflege aus, sagt Robert Gühne. „Da ergänzen wir uns gegenseitig bei der Erschließung des neuen Geschäftsfeldes.“