Global denken – regional handeln
Neben der momentanen Pandemie gehört der Klimawandel zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Wie regionale Lösungen global viel bewegen können, will das Thüringer WIR!-Bündnis „Klimaschutzregion Ilmtal“ zeigen.

Trotz später Stunde haben sich viele Interessierte in das Online-Meeting des Bündnisses eingewählt. Es gehört zu einer digitalen Veranstaltungsreihe, die das Team der „Klimaschutzregion Ilmtal“ ins Leben gerufen hat. „Das Ilmtal soll eine Modellregion für eine klimafreundliche Gesellschaft werden“, sagt Thomas Meier, der Moderator des Meetings. Er arbeitet für SolarInput e.V., eine strategische Allianz zur Reduzierung der CO2-Emmissionen und einer der über 50 Partner des Bündnisses. Dessen Ziel ist eine klimaneutrale Wirtschafts- und Lebensweise durch technische und gesellschaftliche Innovationen. Dabei spielen eine regenerative Land- und Forstwirtschaft sowie erneuerbare Energien genauso eine Rolle wie die Einbeziehung der Menschen in der Region. Gefördert wird das Bündnis als Teil des Programms "WIR! - Wandel durch Innovation in der Region" vom Bundesforschungsministerium (BMBF).
In Eigeninitiative zur nachhaltigen Region
Ein Ansatz, der offenbar erfolgversprechend ist, wie Henning Austmann weiß. Austmann ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Nachhaltiges Wirtschaften an der Fachhochschule Hannover und der erste Redner der digitalen Vortragsreihe. Er gehört zu den Initiatoren des Projektes „Ideenwerkstatt Dorfzukunft“, an dem drei benachbarte Dörfer in Niedersachsen beteiligt sind. Um ihre Dörfer zukunftsfähiger zu gestalten, haben die Bewohner selbst Ideen entwickelt, die sie Stück für Stück umsetzen. Dazu gehören unter anderem eine Energie-Genossenschaft und eine solidarisch-regenerative Landwirtschaft, aber auch der Unternehmensinkubator "Gründen und Arbeiten im ländlichen Raum" sowie eine gemeinwohlorientierte Immobilien-Sanierungs-Gesellschaft. Henning Austmann ist davon überzeugt, dass sich lokales Handeln und globales Denken nicht ausschließen – im Gegenteil. So werden zum Beispiel durch die Erhaltung alter Bausubstanz Rohstoffe gespart, mit der nachhaltigen, lokalen Produktion von Nahrungsmitteln entfallen lange Transportwege, die Artenvielfalt wird gefördert und die Versorgung mit regenerativen Energien macht die Dorfgemeinschaft unabhängiger von fossilen Rohstoffen.
Gleichzeitig Nahrung und Energie gewinnen

Regenerative Energien sind auch für das WIR!-Bündnis „Klimaschutzregion Ilmtal“ ein wichtiges Thema, insbesondere Photovoltaik auf landwirtschaftlichen Flächen. „Durch den Klimawandel, der mit großer Trockenheit verbunden ist, kann die landwirtschaftliche Produktion so nicht weitergehen“, sagt Bündnissprecherin Kerstin Wydra, die eine Professur für Pflanzenproduktion im Klimawandel an der Fachhochschule Erfurt innehat. Bei der so genannten Agrophotovoltaik werden Sonnenkollektoren auf Landwirtschaftsflächen installiert. Neben dem Anbau von Gemüse oder Obst können die Landwirte gleichzeitig Energie gewinnen und die Böden vor Trockenheit schützen. Feldversuche mit Agrophotovoltaik in Baden-Württemberg haben gezeigt, dass die Erträge, beispielsweise bei Kartoffeln, sogar steigen können. In Thüringen liegt der Anteil der erneuerbaren Energien derzeit nur bei 20 Prozent. Da es für Windräder wegen des Waldschutzes und des Abstandes zu Wohnhäusern nur wenig Fläche gibt, hat die Photovoltaik das größte Potential – insbesondere auf weiträumigen Flächen wie Äckern. Ziel der Agrophotovoltaik ist eine extensivere Landwirtschaft, die den Bauern durch die Stromerzeugung dennoch Gewinne sichert.
Auf dem Programm des WIR!-Bündnisses steht neben erneuerbaren Energien auch die Nutzung von regionalen Rohstoffen wie Holz, Stroh und Hanf als Baumaterial. Das allumfassende Ziel der Thüringer ist es, im Ilmtal eine Klimaschutz-Modellregion für eine nachhaltigere Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen, die beispielhaft sein kann für den Wandel – weit über die Region hinaus.